Rückblick: IKT-Forum „Niederschlagswasser, Vegetation & Infrastruktur 2015“
Regenwasser ist ziemlich sauber. Aber nur solange es noch in der Luft ist. Sobald es einmal quer über eine vielbefahrene Straße geronnen ist, trägt es jede Menge Schadstoffe und Schmutzpartikel in sich. Da macht es Sinn, es vor der Einleitung in ein Gewässer einmal gründlich zu säubern. Wie das gehen kann, war Thema beim diesjährigen Forum „Niederschlagswasser, Vegetation & Infrastruktur“, das jetzt im IKT stattfand.
Prof. Dr.-Ing. Bert Bosseler, Wissenschaftlicher Leiter des IKT, eröffnete das Forum für die rund 120 Gäste und gab damit den Startschuss zu einem abwechslungsreichen Vortragsprogramm mit hochkarätigen Referenten, zu einer interessanten Fachausstellung und zu informativen Produktvorstellungen. Durch das Programm führten die IKT-Projektleiter Dipl.-Ing. Christoph Bennerscheidt und Marcel Goerke, M.Sc. Das Forum wurde freundlicherweise durch die DBU (Deutsche Bundesstiftung Umwelt) unterstützt.
Das Programm deckt alle zentralen Aspekte der dezentralen Niederschlagswasserbehandlung ab:
Regenwasserbehandlung in Europa
Dipl.-Ing. Christof Mainz von der Europäischen Kommission sprach zum Thema Niederschlagswasserbewirtschaftung in der EU. Er nannte Vorreiter und Nachzügler bei diesem Thema. Einige Städte und Regionen in Europa haben aber zurzeit noch viel grundlegendere abwasserwirtschaftliche Probleme als eine fehlende Regenwasserbehandlung. Neben den üblichen Verdächtigen im Süden und Osten hinken auch einige altgediente EU-Mitglieder dem Stand der Technik hinterher. So überweisen beispielsweise belgische und luxemburgische Gemeinden jährliche Strafzahlungen an die EU, weil sie nur zum Teil oder gar nicht über eine zentrale Abwasserentsorgung verfügen.Umgang mit Niederschlagswasser in NRW
Bedeutung und Entwicklung der Niederschlagswasserbehandlung in Nordrhein-Westfalen war Thema des Vortrags von Magr inz. Agnieszka Speicher vom Landesumweltamt (LANUV NRW). In dem stark urbanisierten und industrialisierten Bundesland ermöglicht der Trennerlass den Einsatz dezentraler Anlagen, sofern eine Reinigungsleistung nachgewiesen wird, die mit der einer zentralen Anlage vergleichbar ist.Streusalz im Autobahnabfluss
Niederschlagswasserbehandlung an Autobahnen war das Thema von Simon Faltermaier, M.Sc. von der Universität der Bundeswehr München. Ein großer Schwerpunkt in Süddeutschland: Streusalz. Regenbecken können Streusalz zwar nicht aus dem Straßenoberflächenwasser entfernen. Konzentrationsspitzen, die während der Streuperiode oder der Schneeschmelze auftreten, werden jedoch abgepuffert. Dem Vorfluter bleiben extrem hohe Konzentrationen so erspart. Faltermaier zeigte außerdem, welchen Einfluss die Gestaltung der Straßenentwässerung und der Regenbecken auf die Sedimentation hat. Denn strömungstechnisch optimierte Beckensysteme können den Austrag von Schadstoffen in die Gewässer vermindern.
Kostenvergleich: dezentrale vs. zentrale Lösungen
Dezentrale Systeme zur Niederschlagswasserbehandlung in der Praxis – Dipl.-Ing. Stephan Ellerhorst von der Grontmij GmbH zog in seinem Vortrag Schlüsse aus Beobachtungen an bereits im Betrieb befindlichen Anlagen. Er verglich die Kosten für Planung und Genehmigung, Bau und Betrieb von verschiedenen dezentralen Anlagen und setzte diese ins Verhältnis zu den Kosten von zentralen Anlagen. So lassen sich Unterhalts- und Reinigungsaufwendungen abschätzen.Teilchenbeschleuniger
Wie verhalten sich Schmutzpartikel im Regenwasser? Wie schnell sinken sie ab? Wie trennt sich fest von flüssig? Gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Rainer Lotzien von der Technischen Fachhochschule Georg Agricola, Bochum stiegen die Teilnehmer tief in die Physik ein. Lotzien widmete sich der Beschreibung der Teilchenbewegung und den zugrundeliegenden physikalischen Gesetze und Berechnungsmethoden. Er identifizierte Einflussfaktoren wie Partikelkonzentration, Partikelform und Strömung, und erörterte deren Bedeutung für die Sedimentation in Niederschlagswasserbehandlungsanlagen.
Sickerpflaster: Naturnaher Wasserkreislauf
Auf dem Weg zurück zu einem naturnahen Wasserkreislauf kann eine wasserdurchlässige Befestigung direkt die Versiegelung von Verkehrsflächen verhindern, so Prof. Dr.-Ing. Carsten Dierkes, Frankfurt University of Applied Sciences. Wasserdurchlässige Flächenbeläge fördern die Verdunstung und beeinflussen so das Stadtklima positiv. Bauaufsichtlich zugelassene Produkte stellen zudem den Rückhalt von Schadstoffen und die dauerhafte Funktion sicher. Dierkes sprach außerdem über die Voraussetzungen für den Einsatz, die Anforderungen an den Untergrund, den Oberbau und den Einbau sowie über die Prüfungen für eine DIBt-Zulassung von Sickerpflaster.
Langer Einsatz, schlechte Versickerung?
Dr.-Ing. Mathias Kaiser, Kaiseringenieure, Dortmund, und Dr.-Ing. Björn Kluge, TU Berlin, berichteten von ihren Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit und zum Zustand langjährig betriebener dezentraler Regenwasserversickerungsanlagen. Ihr Fazit: Die untersuchten Anlagen befinden sich insgesamt in einem guten hydraulischen Zustand und entsprechen der empfohlenen Versickerungsleistung. Gerade bei zentralen Anlagen stellen häufig die punktuellen Zuläufe Problempunkte dar, an den Kolmationen auftreten. Mängel bei der Planung und oder Ausführung der Anlagen können zudem zu hohen Schadstoffgehalten führen. Schäden treten infolge von Nutzungskonflikten zum Beispiel durch Trittschäden oder ruhenden Verkehr auf. Defizite bei Pflege und Betrieb führen in Einzelfällen zu Schwachstellen.Bedarfsorientierter Betrieb dezentraler Anlagen
Mit Planung und Betrieb dezentraler Regenwasserbehandlungsanlagen hat sich Dr.-Ing. Holger Hoppe von der Dr. Pecher AG in seinem Vortrag beschäftigt. Die Analyse des Betriebs zentraler Anlagen zeichne ein in großen Teilen ernüchterndes Bild, so Hoppe. Daher sollte zukünftig schon bei der Planung der vielen kleineren dezentralen Anlagen besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten eines bedarfsorientierten Betriebs gelegt werden – zum Beispiel mit Messsystemen zur Fernüberwachung. Betriebsbeobachtungen dezentraler Anlagen in Trennsystemen haben zudem wiederholt Fehlanschlüsse von Schmutz- an Regenwassekanäle aufgedeckt. Solche Fehlanschlüsse können mit verteilten Temperaturmessungen lokalisiert werden, erklärte Hoppe.Wasser von saudreckigen Parkplätzen
Niederschlagswasser wird kaum irgendwo so dreckig wie auf Autobahnparkplätzen, weiß Dipl.-Ing. Benedikt Lambert von der Bioplan Landeskulturgesellschaft. Kleine Regenwassereinzugsgebiete seien bezüglich der Stofffracht variabler und damit schwieriger einzuschätzen als große Einzugsgebiete, so Lambert. Das erschwere die Bemessung von Behandlungsanlagen. Auf Autobahnparkplätzen mit Asphaltbelag tritt eine extrem hohe stoffliche Belastung auf, die bei üblicher Verfahrensauslegung zu einem Anlagenversagen führen kann. Lambert weist auf große Unterschiede in den Abflusskonzentrationen zwischen ruhendem und bewegtem Verkehr, zwischen Asphalt-, Beton- und Pflasterbelägen hin. Bisheriger seien in solch problematischen Einzugsgebieten vornehmlich Koaleszenzabscheider eingesetzt worden. Ein neuer Vorschlag plädiert dagegen für ein zweistufiges Verfahren mit Regenrückhaltebecken und Retentionsbodenfilter.Was leisten dezentrale Anlagen?
Dipl.-Ing. Paul Kober, TU Berlin, und Dr.-Ing. Harald Sommer, Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH, berichteten über ein Forschungsprojekt, das Anlagen zur dezentrale Reinigung von Straßenabflüssen im Praxiseinsatz unter die Lupe nimmt. Im Rahmen des Projekts der TU Berlin, der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker, des Kompetenzzentrum Wasser Berlin, der Berliner Wasserbetriebe und der Berliner Stadtreinigung werden verschiedene Technologien im öffentlichen Straßenraum sowie auf einem Betriebshof der Berliner Stadtreinigung untersucht. Es werden Anlagen betrachtet, die in den Straßenablauf eingesetzt werden oder diesen ersetzen. Die Messungen laufen derzeit noch.
Bemessung von Sedimentationsanlagen
Bei der Bemessung von Sedimentationsanlagen für die Regenwasserreinigung gilt in Frankreich das VICAS-Protokoll. Es setzt den Rückhalt abfiltrierbarer Stoffe ins Verhältnis zur Sinkgeschwindigkeit mit dem Ziel einer genaueren Auslegung solcher Anlagen. Dipl.-Ing. Angelika Benesch, Ingenieurbüro Angelika Benesch, Dortmund, erläuterte die Details der Vorgehensweise in Frankreich.Nassschlammfang Modell Hannover
Die meisten der in Hannover verbauten 52.000 Straßenabläufe sind nach dem in den 1950er Jahren entwickelten Modell Hannover ausgeführt. Es unterscheide sich vor allem durch einen Tauchbogen aus Gusseisen vom Standardmodell, erklärte Dr.-Ing. Hans-Otto Weusthoff von der SEH – Stadtentwässerung Hannover. Nun wollte die SEH die Rückhalteleistung dieser alt gedienten Konstruktion näher untersuchen. Das IKT hat dazu verschiedene Untersuchungen im Maßstab 1:1 durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Modell Hannover bei der Rückhalteleistung durchaus mit anderen, komplexeren Systemen zur dezentralen Regenwasserbehandlung mithalten kann.
Autobahnen und Landstraßen entwässern
Verantwortlich für die Entwässerung von 20.000 Kilometern nordrhein-westfälischer Autobahnen und Landstraßen ist Straßen.NRW, der Landesbetrieb Straßenbau. Dipl.-Ing. Rüdiger Sürig gab einen Überblick über Aufgaben und Ziele von Straßen.NRW. Das Niederschlagswasser von Autobahnen und Landstraßen wird entweder unmittelbar über eine bewachsene Bodenschicht versickert oder gefasst, abgeleitet und in zentralen Anlagen wie Absetzbecken, Regenklärbecken, Abscheideranlagen, Rückhaltebecken und Retentionsbodenfilter behandelt. Die zentrale Frage ist, wann behandelt werden muss und wann nicht. Die Antwort liefert der rechtliche Rahmen, den Sürig vorstellte.
Praxiserfahrungen mit Nachrüstsystemen
In Bielefeld hat man Erfahrungen mit den direkt in Schächte einsetzbaren Systemen Innolet und Filtersack gesammelt. Dipl.-Ing. Günter Reimann vom Umweltamt der Stadt Bielefeld berichtete auf dem IKT-Forum. Behörde, Planer und Betreiber waren überrascht, wie stark der Wartungsaufwand von den Bedingungen um Umfeld und den unterschiedlichen Belastungen abhängig ist.
Prüfverfahren und Zulassungskriterien
Dr. Ing. Martina Dierschke, Frankfurt University of Applied Sciences, befasste sich in ihrem Vortrag mit Prüfverfahren und Zulassungskriterien für dezentrale Niederschlagswasserbehandlungsanlagen. Für eine möglichst einheitliche Basis zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit dezentraler Anlagen wurden diverse Laborprüfverfahren entwickelt, die die Anlagen mit einer stofflichen Jahresfracht und künstlichen Regenereignissen belasten. Gerade weil dabei viele Randbedingungen des realen Betriebs außen vor bleiben, sei es sinnvoll, das Betriebsverhalten der Anlagen regelmäßig zu untersuchen. So kann unter bestimmten Bedingungen Kolmation zum Problem werden. Stellt sich heraus, dass dies systematisch auftritt, müsste entweder das Prüfprogramm erweitert oder eine Ziel führende Betriebsstrategie formuliert werden.Blick in die Praxis
Das Forum wurde von einer Fachausstellung begleitet. Die Teilnehmer nutzten die Gelegenheit zu Gesprächen an den Ständen. Die Aussteller freuten sich über die vielen Kontaktmöglichkeiten. Zudem hatten die Aussteller während des Praxisblocks die Gelegenheit, ihre Produkte in Kurzvorträgen vorzustellen.Internationales Publikum
Die Teilnehmer kamen nicht nur aus Deutschland sondern auch aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Sie arbeiten in Genehmigungsbehörden, Bezirksregierungen, Ingenieurbüros, Kommunen und in wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Resonanz aus den Reihen der Gäste ist durchweg positiv.
Nach dem Ende des Programms gingen die Gespräche noch weiter. Immer wieder kamen auch Fragestellungen auf, für die das IKT nach Lösungen suchen könnte. Wer sich an Forschungsvorhaben beteiligen möchte, kann sich mit Christoph Bennerscheidt oder Marcel Goerke in Verbindung setzen.Tagungsband
Der 148-seitige Tagungsband zum Forum enthält alle zentralen Informationen aus dem Vortragsprogramm.
Er kann hier bestellt werden: Bestellschein
Weiterführende Informationen zum Thema Niederschlagswasserbehandlung: IKT-Prüfstelle Regenwasserbehandlung
Ansprechpartner
- Dipl.-Ing. Christoph Bennerscheidt
Telefon: 0209 17806-25
E-Mail: bennerscheidt@ikt.de - Marcel Goerke, M.Sc.
Telefon: 0209 17806-34
E-Mail: goerke@ikt.de
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