Sturmtief Ela und die Folgen:
Wurzeln und Rohre können sich vertragen
Pfingsten 2014 bleibt den Bewohnern des Ruhrgebiets wohl noch länger in Erinnerung. Reihenweise umgestürzte Bäume, blockierte Straßen und Bahnlinien, abgetragene Dächer, zerstörte Autos – Sturmtief „Ela“ hatte innerhalb kürzester Zeit eine Schneise der Verwüstung quer durch die Region geschlagen. Manche Schäden sind auch fast ein Jahr danach noch zu sehen.
Interaktion zwischen Wurzeln und Leitungen
An vielen Stellen hat der Sturm gezeigt, wie eng Stadtgrün und Leitungsinfrastruktur miteinander verbunden sind. Denn Wurzeln und Leitungen teilen sich den unterirdischen Raum. Kippt der Baum, dann knackt oft auch das umwurzelte Rohr. Und vielleicht würde trotz Ela der ein oder andere Baum noch stehen, das ein oder andere Auto noch fahren, wenn nicht bei Tiefbauarbeiten wichtige Wurzeln geschädigt worden wäre.
Mit den Folgen von Sturmtief Ela im Hinterkopf wollen Netzbetreiber und Grünflächenämter nun bei Tiefbauarbeiten und Baumpflanzungen verstärkt neue Wege beschreiten. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Regelwerke helfen dabei, sowohl Leitungen vor Wurzeln zu schützen als auch Wurzeln beim Tiefbau besser zu schützen. Denn: Wurzeln und Rohre können sich vertragen.
Weiterbildung
Zu diesem Thema bietet das IKT im Oktober 2015 den Lehrgang „Sachkundiger für Vegetation und unterirdische Infrastruktur“ an: Programm und Anmeldung
Raum für Wurzeln schaffen
Baumstandorte im Straßenraum können jetzt so gestaltet werden, dass sowohl das Schadensrisiko für Ver- und Entsorgungsleitungen reduziert wird als auch dem Baum ausreichend Raum für die Wurzeln verschafft wird. Gute Standortbedingungen, das sind porenreiche und gut belüftete Böden beziehungsweise Substrate, finden Wurzeln bisher häufig in den Gräben der Ver- und Entsorgungsleitungen.Im Abwassernetz stellt der Wurzeleinwuchs einen der häufigsten Schäden dar. Aber nicht nur Abwasserleitungen sind von dem Wurzelwuchs betroffen. Auch Beobachtungen an Erdgasleitungen und sogar dichten Frischwasserleitungen zeigen, dass Wurzeln die Nähe zu Versorgungsleitungen im Leitungsgraben suchen. Die Gründe für das Einwachsen von Baumwurzeln in Leitungsgräben wurden durch das IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Biodiversität und Evolution der Pflanzen an der Ruhr-Universität Bochum in den letzten zwölf Jahren erforscht und mehrere Erklärungsmodelle erarbeitet.
Bequeme Wurzeln und gute Luft
Ein Modell basiert auf der Bequemlichkeit der Wurzeln. Denn Wurzeln gehen meist den Weg des geringsten Widerstands. Der Bodenraum rund um Gebäude und Leitungsinfrastrukturnetze unterscheidet sich von gewachsenem Boden durch geringere Verdichtung beziehungsweise größeren Porenraum – ein Paradies für Wurzeln.
Ein anderes Modell setzt beim Sauerstoff an, den auch Wurzeln für ihren Stoffwechsel brauchen. Stark versiegelte Böden sind arm an Sauerstoff. Abwasserleitungen dagegen sind größtenteils mit Luft gefüllt und einigermaßen gut belüftet. Über undichte Dichtungen gelangt Sauerstoff in den umgebenden Boden und macht diesen besonders attraktiv für Wurzeln.Lange hat man versucht, die Dichtungen wurzelfest zu machen. Doch Wurzeln sind stark und wachsen – wie man heute weiß – sogar in dichte Verbindungen ein. Und selbst wenn man es schafft, sie draußen zu halten, können die anderen Probleme bestehen bleiben: Last abtragende Wurzeln versetzen Rohre in Bewegung und durchwurzelte Leitungsgräben erschweren Tiefbauarbeiten.
Deshalb ist man inzwischen dazu übergegangen, den gesamten Leitungsgraben mit porenarmen Verfüllmaterialien möglichst unattraktiv für Wurzelwachstum zu machen. Gleichzeitig schafft man heute für die Bäume porenreiche, gut durchlüftete Bodenbereiche abseits der Leitungstrasse – für gesundes, üppiges Stadtgrün.
Hilfreiche Regelwerke
Schäden durch Wurzeln an der unterirdischen Leitungsinfrastruktur sind die eine Seite, Schädigungen von Bäumen und deren Wurzeln durch Baumaßnahmen die andere. Die DIN 18920 „Vegetationstechnik im Landschaftsbau – Schutz von Bäumen, Pflanzenbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen“ gibt Hinweise und Regeln für die Planung und Durchführung von Baumaßnahmen im Siedlungsbereich und in der freien Landschaft. So können zu erhaltende Einzelbäumen und ganze Vegetationsflächen besser geschützt werden.
Auch die Richtlinie „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle“, die unter Mitwirkung zahlreicher Fachvereinigung erarbeitet wurde, bietet vielfältige Hilfestellungen. Die Richtlinie ist als Merkblatt bei der DWA als DWA-M 162 „Bäume, unterirdische Leitungen und Kanäle“ und textgleich als DVGW GW 125 und FGSV Nr. 939 erschienen.Für Baumpflanzungen in der Nähe von Ver- und Entsorgungsleitungen und Tiefbauarbeiten im Umfeld von Bäumen werden heute keine absoluten Mindestabstände mehr vorgegeben. Über sinnvolle Abstände und den Einbau von Schutzmaßnahmen soll nun anhand der jeweils vor Ort herrschenden Verhältnisse entschieden werden.
Bereiche für Wurzelwachstum schaffen
Die Berücksichtigung aktiver Schutzmaßnahmen wird insbesondere für die Neupflanzung von Bäumen in der Nähe eines Leitungsbestands empfohlen. Durch aktive Schutzmaßnahmen werden Bereiche definiert, in denen das Wachstum von Wurzeln gefördert wird. Aktive Schutzmaßnahmen sind unter anderem:
- Pflanzgruben
- Wurzelgraben
- Belüftung
- Trennelemente
Leitungsbereich von Wurzeln freihalten
Passive Schutzmaßnahmen werden im direkten Bereich von unterirdischen Leitungen beziehungsweise Leitungsgräben in der Regel beim Neubau ergriffen. Zu den passiven Schutzmaßnahmen gehören zum Beispiel:- Einsatz porenarmer Verfüllstoffe im Rohr- und Leitungsgraben
- Einbau von Mantelrohren (Schutzrohren) um die Leitung
- Einbau von Platten und Folien im Leitungsgraben
- Auswahl wurzelfester Rohrverbindungen
Die Wirksamkeit passiver Schutzmaßnahmen ist bisher allerdings wenig untersucht worden. Zum Beispiel gibt es kaum Erfahrungen mit in den Leitungsgraben eingebauten Platten und Folien, systematische Untersuchungen gibt es praktisch nicht. In einem bekannten Fall wurde bei einer Aufgrabung im Graben einer Gasleitung (Platten aus HDPE) die vorgefundene Situation beschrieben: Wie erwartet hatten die Wurzeln die Platten nicht durchdrungen. Sie sind aber an ihnen entlang und um sie herum gewachsen und haben sich dann trotzdem in dem porenreichen Verfüllmaterial des Leitungsgrabens ausgebreitet. Das IKT will nun im Bereich der passiven Schutzmaßnahmen weiterforschen (siehe unten).
Die Lehre aus Ela
Bäume und unterirdische Leitungen sind auf ihre je eigene Weise wichtig für unsere Lebensqualität. Doch müssen sie sich den Bodenraum teilen, was oft zu Konflikten führt. Aber Wurzeln und Rohre können sich vertragen, wenn Planer mit Weitblick durch den abgestimmten Einsatz von aktiven und passiven Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass sie sich nicht allzu sehr in die Quere kommen. Das ist die Lehre aus Sturmtief Ela. Und die immer noch sichtbaren Folgen dienen als kleine Gedächtnisstütze, den Baum- und Leitungsschutz weiterhin ernst zu nehmen.
Weiterforschen
Haben Sie Erfahrungen mit passiven Schutzmaßnahmen gesammelt? Setzen Sie bereits das Regelwerk mit der Kombination aus aktiven und passiven Schutzmaßnahmen um? Das IKT bündelt die Erfahrungen der Netzbetreiber für weitergehende Untersuchungen. Falls Sie Interesse haben, an einem Projekt zur Wirksamkeit von passiven Schutzmaßnahmen mitzuwirken, wenden Sie sich an:
- Dipl.-Ing. Christoph Bennerscheidt
Telefon: 0209 17806-25
E-Mail: bennerscheidt@ikt.de - Marcel Goerke, M.Sc.
Telefon: 0209 17806-34
E-Mail: goerke@ikt.de
Weiterbilden
Der Lehrgang „Sachkundiger für Vegetation und unterirdische Infrastruktur“, der vom 26. bis 28. Oktober 2015 im IKT in Gelsenkirchen stattfindet, vertieft unter anderem das Merkblatt DWA-M162 und liefert praktische Anwendungen. Der Schwerpunkt liegt auf der baum- und leitungsgerechten Gestaltung von Baum- und Tiefbauarbeiten.
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